Eine Woche im Land der PISA-Sieger: Meine Job-Shadowing-Erfahrung in Tallinn

Die Einladung, im Rahmen des Erasmus+ Programms eine Woche am Tallinna Saksa Gümnaasium in Estland zu verbringen, fühlte sich an wie ein Sprung in eine andere Bildungsdimension. Gemeinsam mit meinen Kollegen Julian Buchmann und Laura Witschel machte ich mich auf den Weg in ein Land, dessen Schulen in den PISA-Studien regelmäßig glänzen. Was würde uns dort erwarten? Was haben wir gemeinsam? Wo liegen die Unterschiede?

Schon die Ankunft in Tallinn verzauberte mich. Die mittelalterliche Altstadt, ein UNESCO-Weltkulturerbe, strahlte eine ruhige Würde aus, die im Kontrast zur modernen Energie stand, die ich in Gesprächen über das estnische Bildungssystem bereits wahrgenommen hatte. Die Schulleiterin, Maive Merkulova und das Kollegium empfingen uns mit einer offenen und einladenden Atmosphäre. Vom ersten Moment an spürte ich eine Leidenschaft für Bildung.

Die Möglichkeit, verschiedenen Unterrichtsstunden beizuwohnen, war sehr aufschlussreich. Ich erlebte einen Lernraum, der von Respekt, Eigenständigkeit und einer bemerkenswerten Interaktion zwischen Lehrern und Schülern geprägt war. Es war spannend zu beobachten, wie individualisiertes Lernen in der Praxis aussehen kann.

Die Gespräche mit den Schulleitungsmitgliedern waren für mich besonders wertvoll. Sie gaben uns einen tiefen Einblick in die Philosophie und die Strategien, die zum Erfolg dieser Schule beitragen. Es ging nicht nur um reine Wissensvermittlung, um die Entwicklung von Kompetenzen, sondern vor allem darum, den Schulbesuch für jeden Schüler und jede Schülerin zum Erfolg zu machen. Selbstwirksamkeit und Growth Mindset stehen im Mittelpunkt. Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich wohl in ihrer Schule und es gibt zahlreiche Anlässe zu erleben, dass es wirklich ihre Schule ist.

Bereits am Freitag hatten wir Gelegenheit, an der MUNOT-Konferenz teilzunehmen. MUNOT steht für Model United Nations of Tallinn, eine UN-Konferenz von Schülerinnen und Schülern. Der MUNOT-Kurs der Schule verbringt ein ganzes Schuljahr damit, die Konferenz vorzubereiten und zu organisieren. Am Konferenztag reisen dann zahlreiche Delegationen anderer Schulen an und es findet eine 3-tägige-UN-Konferenz statt. Ich war beeindruckt davon, wie straff die Schülerinnen und Schüler die Konferenz organisiert hatten und was für tolle Arbeitsergebnisse schließlich in der Vollversammlung erzielt worden sind. Die Konferenz bot auch hochkarätige Gäste aus der estnischen Politik und Gesellschaft und es gab lebhafte Diskussionen – ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig auch der estnischen Gesellschaft Bildung ist und dass diese es durch Taten statt durch Reden zeigt.

Doch Tallinn bot uns mehr als nur Einblicke in die Welt der Bildung. Der Leiter der deutschen Abteilung des Gymnasiums nahm sich die Zeit, uns die Stadt und die Geschichte dieses kleinen Landes näherzubringen. Bei unseren Spaziergängen durch die verwinkelten Gassen der Altstadt, vorbei an historischen Bauwerken und durch moderne Viertel, spürte ich die reiche und oft bewegte Vergangenheit Estlands. Die Erzählungen über die verschiedenen Epochen, die das Land geprägt haben, von der Hansezeit bis zur Zeit der Sowjetunion und der schließlich erlangten Unabhängigkeit, waren tief bewegend und halfen mir, ein tieferes Verständnis für die estnische Identität zu entwickeln.

Diese Woche in Tallinn war für mich eine transformative Erfahrung. Ich habe nicht nur wertvolle Einblicke in ein international anerkanntes Bildungssystem gewonnen, sondern auch die Gastfreundschaft und die Kultur eines faszinierenden Landes kennengelernt. Die Begegnungen mit den estnischen Kollegen waren inspirierend und haben meinen Horizont erweitert. Ich bin dankbar für diese Chance und nehme viele Ideen und neue Perspektiven mit nach Hause, die meine Arbeit als Lehrer bereichern werden. Die Reise hat mir gezeigt, dass es lohnenswert ist, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und von den Besten zu lernen – und das Tallinna Saksa Gümnaasium gehört zweifellos dazu.

WL